Wie viel Stabilität wollen wir?
Ein wesentliches Kennzeichen von Organisationen jeder Art ist das Streben nach Stabilität. Das gilt auch für kirchliche Gemeinden und Hausgruppen.
Stabilität vermittelt ein Gefühl von Sicherheit und Erfolg, begrenzt Konflikte, ebnet für Frieden und macht das Leben leichter.
Wenn sich die Lage einer jungen Gemeinde oder Hausgruppe nach den turbulenten ersten Jahren schließlich stabilisiert, blicken wir gern zufrieden auf das Erreichte zurück. Was wir uns vorgenommen hatten, ist gelungen. Auch scheint die Umgebung uns langsam zu akzeptieren. Und wir wissen jetzt genauer, wie wir unsere Ziele erreichen wollen.
Wir sind auch ein Stück ruhiger geworden, oder sollen wir sagen „reifer“? Auf jeden Fall stabiler.
Jetzt gilt es, das Erreichte zu schützen. Und zwar gegen alle denkbaren und wirklichen Agitatoren und Querulanten, Besserwisser und Nörgler, auch gegen jene allzu kreativen Naturen mit ihren ständig neuen Ideen. Und dann natürlich gegen die Naivität unerfahrener Neulinge. „Lasst die Leute ruhig hereinkommen, aber nicht nach oben!“ (Zitat eines Pastors).
Denn wir wollen wirklich nicht die Fehler der ersten Zeit noch einmal machen, auch nicht endlos alles noch einmal erklären und schon gar nicht neue Fehler riskieren. Warum auch Risiken eingehen, wenn jetzt alles so schön läuft?
Dies ist jedoch der Punkt in der Entwicklung der Gemeinde, an dem wir anfangen, in unserer eigenen Vortrefflichkeit festzufahren. Wenn die Sicherung unserer Stabilität ein wichtiger Faktor wird, dem sich unser Auftrag schließlich unterordnet. Wenn wir nachlassen in unserer Bereitschaft zu lernen, Neues auszuprobieren und uns zu verändern.
Dies ist der Punkt, an dem wir die Türen langsam schließen.
Das ursprünglich rege Wachstum fängt an nachzulassen, bald ist das Plateau erreicht. Langsam, fast unmerklich, lichten sich die Reihen. Noch eine Weile genießen wir die Vertrautheit und Geborgenheit einer stabilen Gemeinschaft und die damit einhergehende Selbstbestätigung, möglicherweise gewürzt mit etwas Überheblichkeit („Wir sind doch eine gute Gemeinde und ziemlich weit vorne.”).
Dann schleicht sich Langeweile ein. Langeweile angesichts der Sterilität und Leere sich wiederholender Rituale und sich totlaufender Rhetorik. Langeweile aus Mangel an Herausforderung und als Folge der Fruchtlosigkeit.
Noch ein paar Jährchen und das Durchsnittsalter unserer Gruppe nähert sich beängstigend den Siebzigern. Und wir begreifen nicht, wie es dazu kommen konnte, auch nicht, wie wir das ändern könnten.
Dabei läge die Lösung auf der Hand. Die wäre, wieder von vorn anzufangen, wieder Risiken einzugehen, Möglichkeiten zu erproben, Herausforerungen anzunehmen, Unbekanntes zu erforschen, Sicherheiten aufzugeben…
Kurz gesagt, demütig zu werden und uns für Menschen zu engagieren mit all ihren Mängeln, Launen und Tücken und uns dabei die Hände schmutzig zu machen.
Vielleicht werden wir dann etwas von unserer Stabilität aufgeben müssen, auch die Vertrautheit und Gemütlichkeit unserer Gemeinschaft, die Bequemlichkeit, die repräsentative Würde und einiges mehr, was uns liebgeworden ist.
Wir mögen unsere Stabilität verlieren - dabei jedoch einige Seelen gewinnen und zu Jesu Jüngern machen.
Die wären die Mühe doch wert, oder?